Gemeinwohlökonomie (GWÖ) 23. Juli 2020 Von Wolfang Thoennissen (E-Mail: wolfgang.thoennissen@web.de) Die Bewegung der GWÖ wurde vom österreichischen Buchautor Christian Felber 2010 mit dem Buch gleichen Namens, das mehrfach aktualisiert wurde, mitbegründet. Felber war auch an der Gründung von Attac in Österreich beteiligt. Die freie Vereinigung GWÖ wird mittlerweile von 2.300 Unternehmen weltweit unterstützt. Der europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss hat im September 2015 die Empfehlung beschlossen, die GWÖ als geeignetes Modell in das Wirtschaftssystem der EU und seiner Mitgliedschaften zu integrieren. Die tragenden Begriffe der GWÖ sind: Menschenwürde, Gerechtigkeit, Solidarität, Nachhaltigkeit, Transparenz, Mitentscheidung und Freiheit. Das aktuelle Wirtschaftssystem der westlichen Welt basiert auf der Freiheit von Märkten und Unternehmertum. Zugrunde liegt das Prinzip der Gewinnmaximierung, die durch den Wettlauf nach höheren Aktienkursen und dem damit verbundenen Vorteil bei der Kreditaufnahme verschärft wird. Das Kapital soll eine maximale Rendite erwirtschaften, und Geld wird zum Selbstzweck. Schon Aristoteles hat vor mehr als 2300 Jahren davor gewarnt, Geld zum Selbstzweck im Sinne einer effektiven Kapitalverwertung anzusehen („widernatürliche Erwerbskunst“). Geld als Mittel zum Zwecke der Erreichung eines guten Lebens für alle hingegen nennt er die „natürliche Erwerbskunst“, die ständige Suche, „wie wirtschaftliches Handeln so betrieben werden kann, dass es zum Gemeinwohl, das man […] als übergeordnetes Ideal betrachten kann, beitragen kann“. Ähnlich äußert sich die Bayrische Verfassung in Art. 151:„Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesonders der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle […] Die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen findet ihre Grenze in der Rücksicht auf den Nächsten […]“. Unser Wirtschaftssystems basiert auf einer missinterpretierten Aussage des Moralphilosophen Adam Smith Ende des 18.Jahrhunderts in England. Danach sollte das Gegeneinander der Einzel-Egoismen am freien Markt zu einem größtmöglichen Wohlstand für alle führen. Übersehen wurde dabei, dass Freiheit nur dann Sinn macht, „wenn sie begrenzt wird, um Machtkonzentration auszuschließen“ (Felber). Smith ging als Moralphilosoph davon aus, dass die Menschen sich von Gott leiten lassen und es nicht zu negativen Auswüchsen kommen kann. Der Résistance-Kämpfer Stéphane Hessen, der im KZ Buchenwald nur knapp dem Tod entkommen ist und mit dem Buch „Empört Euch“ Weltruhm erlangt hat, sagt:„Die gegenwärtige Wirtschaftsordnung ist eine Gefahr für die Demokratie, den sozialen Frieden und die Menschenrechte. Es ist wichtig, aufzustehen und sich über die Praktiken der Finanzindustrie zu empören.“ Über die soziale Marktwirtschaft wurde nach dem 2.Weltkrieg in Deutschland zwar ein Bremsfaktor eingebaut, der verhindern sollte, dass ein reiner Raubtier-Kapitalismus entsteht. Weltweit haben sich aber über viele Jahre erhebliche Fehlentwicklungen eingestellt, wie z.B. Kinderarbeit, Umweltverschmutzung, Gewinnverlagerung in Steueroasen, miserable Arbeitsbedingungen und extreme Einkommensunterschiede. Entscheidend für die GWÖ ist, dass der Finanzgewinn in der kapitalistischen Wirtschaft nicht zum Selbstzweck wird, was unsere Grundwerte wie Menschenwürde, sozialer Zusammenhalt, Schutz des Weltklimas und der Artenvielfalt bedrohen würde. Alle wirtschaftlichen Aktivitäten sind auf das Gemeinwohl auszurichten. Ein entsprechendes Steuern- und Abgabe-System würde die Gemeinwohl-Förderer belohnen, die -Gefährder entsprechend belasten. Statt der üblichen Finanzbilanz gibt es eine GWÖ-Bilanz, die auf der Basis der Kriterien Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, Demokratie, ökologische Nachhaltigkeit erstellt wird. Das klingt sehr aufwendig, es gibt aber für kleine und mittlere Unternehmen eine Kurzform. Anstelle des Brutto-Inlandsprodukts tritt das Gemeinwohl-Produkt, das auch die Klimastabilität einschließt. CO2-Abgaben sollen den Umweltverbrauch auf das jährlich erneuerbare Angebot der Erde begrenzen. Das in der traditionellen Wirtschaftswissenschaft verwendete Bild des „homo oeconomicus“ müsste ersetzt werden durch das Ideal des emotional gesunden, beziehungsfähigen und ökologischen denkendenMenschen. Nach den Kriterien der GWÖ könnte es die heute absurd hohen Bezüge der Vorstandsmitglieder deutscher Dax-Unternehmen nicht geben. Sie müssten limitiert werden, z.B. auf das 10 – 20fache der Bezüge einfacher Mitarbeiter. Bezieht ein einfacher Angestellter beispielsweise ein Jahreseinkommen von 30.000 €, wären das für die Vorstandsmitglieder zwischen 300.000 und 600.000 €. In Wirklichkeit liegen deren Bezüge aber im Millionenbereich. Es werden auch Mindest- und Höchstlöhne sowie demokratische Strukturen in den Firmen gefordert, Ausschüttungen an nicht produzierende Anteilseigner wären verboten. Das Jahreseinkommen für Vorstandsmitglieder beim Autohersteller Toyota in Japan lag 2009 im Schnitt bei 320.000 €. Die dort mittlerweile auf Millionenhöhe gestiegenen Vorstandsgehälter haben die Qualität der Autos deshalb nicht verbessert. In der GWÖ wird die Formel 10/20 favorisiert. 20 steht für das 20-fache Einkommen der normalen Gehälter im Sinne einer Begrenzung der Bezüge für Vorstandsmitglieder. 10 für das Privatvermögen, das nicht über 10 Mio.€ liegen sollte. Ausnahme sind Anteile an Firmen, also Sachanlagen, die durchaus 50 Mio.€ erreichen könnten. Entsprechend müsste auch das Erbrecht verändert werden. Höhere Beträge sind nicht vererbbar. Alle diese Begrenzungen führen nicht zum Hungertod, sie wären aber ein faires Zeichen an die, die nicht durch Erbschaft oder hohe Posten privilegiert sind. Die GWÖ ist eine Möglichkeit, das Leben fairer und gerechter zu gestalten. Beim Anprosten könnten wir dann statt „zum Wohl“ eines Tages „zum Gemeinwohl“ sagen. Hessel sagt dazu: „Ich rufe alle Menschen, denen die Menschenwürde, die Demokratie und der blaue Planet eine Anliegen sind, auf:“ „Engagiert euch für die Gemeinwohl-Ökonomie!“ Wolfgang Thoennissen wolfgang.thoennissen@web.de